Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte, Jg. 19, 1997, 2 Hefte, 352 Seiten

Zeitschrift: Will man diese Zeitschrift lesen, wird man eher eine Bibliothek aufsuchen, als sie für den häuslichen Gebrauch zu abonnieren, denn die zwei Doppelhefte pro Jahrgang haben mit 1.400,- Schilling einen stolzen Preis.

für Neuere: „Neuere“ deutet darauf hin, daß die Zeitschrift die Neuzeit behandelt, also jene Zeitperiode, die an das Mittelalter anschließt. Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit vollzog sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und wurde von mehreren Ereignissen herbeigeführt: der Entdeckung Amerikas, der Entwicklung von Pulverschießwaffen und damit dem Ende des Rittertums, der Kirchenspaltung und dem Beginn der Reformation, Kopernikus’ Erstellung des heliozentrischen Systems und der Erfindung des Buchdrucks.

Rechtsgeschichte: Herausgeber Wilhelm Brauneder vom Wiener Institut für österreichische und deutsche Rechtsgeschichte sieht den Zweck der Zeitschrift

„in der wissenschaftlichen Behandlung und kritischen Analyse der Rechtsentwicklung insbesondere auf den Gebieten des Privat-, Verfassungs-, Verwaltungs- und Strafrechts sowie der Verfahrensrechte vor allem in der neueren Zeit. Die Zeitschrift macht den Gegenwartsbezug der Rechtsgeschichte deutlich und gibt der Methodendiskussion Raum. Zu den Rechtsentwicklungen im deutschen Sprachraum ist in vergleichender Betrachtung die europäische Tradition einbezogen.“ (Impressum H. 1/2, 176)

Die Autoren sind überwiegend Rechtshistoriker; ihre Artikel kreisen um rechtshistorische und rechtsphilosophische Themen. Interdisziplinarität wird insofern gepflegt, als im besprochenen Jahrgang zwei von insgesamt neun Beiträgen von Historikern stammen. Dem Programm der Zeitschrift gemäß beschäftigen sich aber auch diese beiden mit rechtsphilosophischen Themen.

Der Würzburger Historiker Rolf-Ulrich Kunze schreibt über Paul Johann Anselm von Feuerbach und das Strafrechtsverständnis in der DDR (H. 1/2), der Berliner Historiker Wolfgang Neugebauer befaßt sich mit dem Problem von Reform und Modernisierung auf dem ostpreußischen Landtag des Jahres 1798 (H. 3/4). Die übrigen sieben Beiträge widmen sich - entsprechend der grundsätzlichen Richtung der Zeitschrift - rechtshistorischen Themen, so der Frage des Einflusses des Juristen Bonifacius Amerbach (1495-1562) auf den Basler Rat, dargestellt anhand dreier seiner Rechtsgutachten, oder der Entwicklung der Rechtsgeschichte in Spanien. Noch spezieller wird es, wenn den Spuren Savignys in Italien nachgegangen wird: Im Blickpunkt steht dabei der deutsche Rechtsgelehrte Friedrich Carl von Savigny und sein Einfluß auf die Rechtsgeschichte in Italien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (alle H. 1/2).

Mit dem zeithistorischen Thema über die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse am Ende des Ersten Weltkriegs beschäftigt sich Dirk von Selle in Heft 3/4. Er geht der Frage nach, welchen Einfluß diese Kriegsverbrecherprozesse auf die Entwicklung des Völkerstrafrechts ausgeübt haben und inwieweit dieses bei den Nürnberger Prozessen angewandt wurde. Daß Rechtshistorikerinnen und -historiker über die theoretischen und philosophischen Fragen der Gesetzesentwicklung hinaus an sozial- und kulturgeschichtlichen Themen interessiert sind und für ihre Forschung eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis suchen, zeigt der Rezensionsteil, der insgesamt mehr als 60 Seiten umfaßt. Der Rezensionsteil von Heft 1/2 enthält 36 zum Teil sehr ausführliche Besprechungen, drei der Bücher scheinen auch für die Kulturwissenschaften interessant: Ein Sammelband über die Geschichte der Abtreibung, herausgegeben von Robert Jütte, erschienen 1993 in München (111f), eine Dissertation über Illegitimität im Kanton Zürich unter statistischen, wirtschafts-, rechts- und sozialhistorischen sowie alltags- und geschlechtergeschichtlichen Gesichtspunkten von Eva Sutter und weiters eine politikwissenschaftliche Dissertation über Die kurhessischen Straf- und Besserungsanstalten von Hubert Kolling, erschienen 1994.

Aus dem Rezensionsteil in Heft 3/4 ist das Buch Mit den Waffen der Justiz von Andreas Blauert und Gerd Schwerhoff hervorzuheben (1993). In diesem Sammelband schreiben Historikerinnen und Historiker eine Gesellschaftsgeschichte, die entlang von Kriminal- und Gerichtsakten rekonstruiert wird und den Zeitraum vom 15. bis zum 18. Jahrhundert umfaßt. Der Rezensent kritisiert den Titel, da im Buch nicht die Waffen der Justiz selbst beobachtet, sondern diese in den gesellschaftlichen Kontext eingebunden werden. Doch vielleicht ist gerade deshalb das Buch auch für Volkskundlerinnen und Volkskundler interessant. Hermann Romer lobt es jedenfalls in seiner Rezension mit folgenden Worten: „Will der Jurist weiterhin wirkungsorientierte Forschung betreiben, wird er deshalb nicht umhin können, auch jene Realitäten der Justiz zu beobachten und zu analysieren, die nicht seiner wissenschaftlichen Rekonstruktion entsprungen sind“ (116).

Davon ausgehend, daß sowohl der klassische Kanon der Volkskunde wie auch die spätere Ausrichtung des Faches hin zu einer umfassenden Kulturwissenschaft die Rechtsgeschichte berühren, und weil oftmals Gesetzestexte, Verordnungen und deren Umsetzung in die Praxis für kulturwissenschaftliche Arbeiten herangezogen werden, ist es natürlich für die Volkskundlerin und den Volkskundler möglich, auch in der Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte Weiterführendes und Ergänzendes für eigene Forschungsarbeiten zu finden. Daher sollte das Periodikum auch in den nächsten Jahren nicht aus den Augen gelassen werden.

Petra Regen