| Zeitschrift für historische Forschung, 24. Jg., 1997, 4 Hefte, 640
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Die Zeitschrift für historische Forschung (ZHF) (vgl. JB-VKK, 2/98, 64-75) erscheint seit dem Jahr 1974 bei Duncker und Humblot in Berlin unter der Regie einer Herausgeberriege, in deren Reihe von Beginn an die Namen Johannes Kunisch, Klaus Luig und Peter Moraw zu finden sind. Die Zeitschrift wurde als wissenschaftliche Plattform für die Beschäftigung mit dem späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit - dem „alteuropäischen“ Zeitalter (etwa 12. bis frühes 19. Jahrhundert, im Gegensatz zum archaischen und zum industriellen Zeitalter) - ins Leben gerufen. Ziel war und ist es dabei, innerhalb des geographisch klar abgegrenzten Raumes dem Ruf „Ad fontes!“ zu folgen und ausgehend von den historischen Quellen auf der Basis der diese Epoche konstituierenden Strukturen überkommene, weil durch die Gegenwart geprägte, Vorstellungen von der Geschichte zu hinterfragen. Dabei sollte unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse aus den speziellen Geschichtswissenschaften (politische Geschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Ideen- und Rechtsgeschichte) die „Einheit des historischen Prozesses“ in der wissenschaftlichen Reproduktion erhalten bleiben. Ein Heft der vierteljährlich erscheinenden ZHF teilt sich in drei Abschnitte, wobei der im Folgenden zu besprechende Teil mit „Abhandlungen und Aufsätze“ den Anfang macht. An diesen schließen sich „Berichte und Kritik“ sowie ein umfangreicher Rezensionsteil (an die 150 Buchbesprechungen im vorliegenden 24. Band!). Die Arbeiten im ersten Abschnitt liefern zum einen Teil umfassendere Konzepte, zum anderen handelt es sich um Detailstudien, in denen versucht wird, mit erfreulich penibler Quellenbefragung bestimmte Aspekte der europäischen Geschichte zu beleuchten und in den größeren Kontext (siehe oben) einzufügen. Daß es sich bei der ZHF zu Recht um ein äußerst renommiertes Periodikum handelt, wird bei Lektüre des 1997 erschienenen 24. Bandes zum Beispiel anhand der Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas verständlich, wie der Untertitel des Aufsatzes Die Friedlosigkeit der frühen Neuzeit von Johannes Burkhart (509-574) lautet. In Knappheit und pointierten Sätzen wird hier anschaulich in einer Art Konzept mittlerer Reichweite erklärt, wie auf Grund dreier Typen von Defiziten der werdenden (National-)Staaten Europas bis ins 18. Jahrhundert herauf und jeweils nur durch kurze Pausen unterbrochen kriegerische Auseinandersetzungen ihre Schatten auf den Kontinent warfen. Am Beispiel der „lotharingischen Ambitionen“ Philipps des Guten zeigt Robert Stein in Recht und Territorium (481-508), wie durch geschickte Manipulation historischer Ereignisse Geschichte zur Rechtfertigung politischer Ziele herangezogen beziehungsweise konstruiert wird. Die Bedeutung der von Stein geschilderten Vorgänge für das heutige Belgien schafft außerdem eine schöne Verbindung des Konzepts von Burkhart mit der heutigen Staatenwelt. Die Anstrengungen junger Staatsgebilde, Einfluß auf das Verhalten der Untertanen zu üben, beschäftigen Ulinka Rublack (Frühneuzeitliche Staatlichkeit und lokale Herrschaftspraxis in Württemberg, 347-376), wobei die Funktion der Amtmänner und die Möglichkeiten der Bevölkerung, Widerstand zu leisten, im Mittelpunkt ihrer Darstellung stehen. Christian Windler (Beziehungen makeln. Gemeinden und königliche Gerichte in Spanien im ausgehenden Ancien Régime, 53-87) wiederum zeigt in seinem Beitrag zur politisch-institutionellen Geschichte einer anderen Gegend Europas, daß es in einer ständischen Gesellschaft dank einschlägiger Kenntnisse und Beziehungen für Vermittler zwischen Notablen und hochadeligen Herren möglich war, in der sozialen Hierachie aufzusteigen, ohne über großes materielles Kapital verfügen zu müssen. Ebenfalls in den Bereich innerstaatlicher Konflikte führt die Arbeit von Silvia Serena Tschopp (Albrecht von Wallensteins Ende im Spiegel der zeitgenössischen Flugblattpublizistik, 25-51). Anhand der zur besseren Anschaulichkeit reproduzierten Publikationen wird der Diskurs präsentiert, der sich rund um den gewaltsamen Tod des historischen und dramatischen Helden entspann. Dabei wird bewiesen, daß politische Propaganda in Medienkampagnen absolut keine Erfindung der gegenwärtigen Epoche ist. Die Internationalität in der Frühen Neuzeit hingegen demonstriert Arndt Reitemeier (Ritter, Königstreue, Diplomaten. Deutsche Ritter als Vertraute der englischen und deutschen Könige im 14./15. Jahrhundert, 1-23), indem er in seinem Beitrag aus zeitgenössischen Dokumenten zusammengefügte Karriereportraits deutscher Ritter zeichnet, die ihr Brot als Diplomaten auf internationaler, sprich europäischer Ebene in den Diensten verschiedener Höfe verdienten. Mit dem Beispiel eines Grafengeschlechts liefert der Text von Angela Kulenkampff (Die Grafen und Herren von Neuenahr 1267-1521. Ein Beitrag zur verfassungsgeschichtlichen Stellung der Grafen und Herren im späten Mittelalter, 161-178) Aufschluß über das Ringen der Neuenahrer Grafen um Reichsunmittelbarkeit, die sich dabei in einem Spannungsfeld zwischen den Polen Pfandnahme und Pfandvergabe, Lehensherren und verarmte Adelige, Amtleutedasein und Hochadel bewegten. Andrea von Hülsen-Esch (Frauen an der Universität? Überlegungen anläßlich einer Gegenüberstellung von mittelalterlichen Bildzeugnissen und Texten, 315-346) greift in ihren europaüberspannenden Überlegungen ein bis heute virulentes Problem auf: die Ungleichheit zwischen Mann und Frau bezüglich ihres Eingebundenseins in den Lehrbetrieb an den Universitäten. Wenngleich klar ist, daß vor sechshundert Jahren der Anteil studierender Frauen ungleich kleiner war als heute, ist es doch einigermaßen verblüffend, zu erfahren, daß die in den zeitgenössischen Diskursen geübte Kritik an damaliger Ressourcenverteilung bis heute zutrifft. Der Weg zur Gerechtigkeit scheint wohl nicht immer der geradlinigste zu sein, was wiederum - ganz ohne Zynismus - Geschichte interessant und das Leben spannend gestaltet. Weit in den sogenannten volkskundlichen Bereich reicht das von Hans Grünberger (Institutionalisierung des protestantischen Sittendiskurses, 215-252) behandelte Gebiet. Im Zuge der Wandlung der reformatorischen Glaubensbewegung zu einer evangelischen Kirche galt es auch im Interesse der Landesherren (Konkordienformel!) Kirchenordnungen zu installieren, die wiederum im Sinne einer Sozialdisziplinierung eine Steuerung des Verhaltens der Untertanen beabsichtigten. Daß hier kirchliche und weltliche Absichten einander hilfreich zuarbeiteten, wird von Grünberger etwa am Beispiel des Notepiskopats (227) gezeigt. Neben diesem Aspekt ist auch interessant, zu sehen, wie durch die Herausgabe von Katechismen, Postillen und schließlich der sogenannten Hausväterliteratur der Diskurs um Verhaltensnormen selber eine Institutionalisierung erfahren hat. Einen anders gelagerten Diskurs präsentieren Ruth und Dieter Groh (Zum Wandel der Denkmuster im geologischen Diskurs des 18. Jahrhunderts, 575-604) in nicht minder spannender Weise. Auch dieser Aufsatz mag für Volkskundlerinnen und Volkskundler von spezifischem Interesse sein, war es doch der unter anderen vorgestellte Schweizer Universalgelehrte Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) (594f), der mit seinem Werk erst der Alpenbegeisterung englischer Reisender den Weg geebnet hat. Nach dem Beitrag von Paul Nolte, der die Frage Gibt es noch eine Einheit der neueren Geschichte? stellt (377-399) und im Zuge deren Beantwortung Anknüpfungspunkte bezüglich Themen, Methoden, Konzepten und Zeiterfahrungen konstatiert, schließt der Rezensionsreigen mit Martin Dinges („Historische Anthropologie“ und „Gesellschaftsgeschichte“. Mit dem Lebensstilkonzept zu einer „Alltagskulturgeschichte“ der frühen Neuzeit?, 179-214). Jener begab sich, ausgehend von einer empfundenen Theoriedistanz der Geschichtswissenschaften, auf die Suche nach einem neuen Forschungsparadigma und traf dabei auf die Verhaltensstile. Diese seien stets dynamisch zu denken und konstituierten sich im Spannungsbogen zwischen globalen Strukturen und individuellen Handlungsentwürfen auf der Basis von Ungleichheiten sozialer, ökonomischer und politischer Art. Inwieweit dieser knappe und etwas unbestimmt wirkende Ansatz für zeitgenössische Kulturwissenschafterinnen und Kulturwissenschafter von Nutzen sein kann, wird zu prüfen sein. Immerhin kann man davon ausgehen, daß bei der Analyse von Kultur (wie umfassend auch immer) eine kleine Theorie hilfreicher ist als gar keine. Herbert Bammer
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