Tiroler Heimatblätter, Jg. 70, 1995 und Tiroler Heimat. Jahrbuch für Geschichte und Volkskunde, Bd. 59, 1995.

Die Tiroler Heimatblätter wurden vom Verein für Heimatschutz in Tirol als Monatshefte für Geschichte, Natur- und Volkskunde gegründet, verantwortlich zeichneten damals Rudolf Sinwel und Eduard Lippott, ihr Werk wurde von Hans Hochenegg (ab 1932) fortgeführt. Bis heute besorgt der Verein für Heimatschutz und Heimatpflege in Nord- und Osttirol die Herausgabe der Zeitschrift, die Schriftleitung haben Ellen Habasta (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum), Erich Egg, Gert Amman und Hans Gschnitzer (Tiroler Volkskunst Museum) inne. Jährlich erscheinen exakt 136 Seiten - verteilt auf vier Hefte, die Auflage umfaßt 1.500 Stück. Der Preis der Einzelnummer beträgt öS 75,-, das Jahres-Abonnement kostet öS 250,-. Förderung erhält das Medium durch die Kulturabteilung des Landes Tirol, ab und zu ermöglicht eine Bank Farbreproduktionen, zusätzlich finden sich in jeder Nummer diverse Inserate.

Als Autoren und Autorinnen scheinen Personen aus den Bereichen Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Bibliotheks- und Archivwesen, weiters Museumsdirektoren, Lehrer und Lehrerinnen, Dorfchronisten, emeritierte Professoren und Professorinnen, vereinzelt auch Chemiker, Volkswirte und Volkskundler bzw. Volkskundlerinnen auf. Die Hauptverantwortliche, Ellen Habasta, berichtet vom Versuch, verstärkt junge Akademiker (und wohl auch Akademikerinnen) einzubinden; erwünscht ist insbesondere die Vorstellung von Diplomarbeiten, Dissertationen und Projekten. Abgedruckt werden „prinzipiell nur Originalbeiträge, die einigermaßen wissenschaftlich abgefaßt sind (wenigstens Zitierung ...)“. Die Chancen stehen also gut- die Veröffentlichungen bleiben allerdings „mehr oder weniger unhonoriert“ (briefliche Mitteilung Habasta).

Alle Artikel haben Tirolbezug, Rezensionen sind nicht unbedingt regional beschränkt. Viele Abhandlungen sind der Historie gewidmet, hin und wieder tauchen naturwissenschaftliche Themen auf. Solche Beiträge finden sich schon in älteren Jahrgängen, werden dort allgemein verständlich dargestellt und dienen vorrangig der Unterhaltung. Seit 1994 beinhalten die Tiroler Heimatblätter zwei Serien - eine behandelt Tiroler Museen, die andere Objekte aus Tiroler Heimatmuseen. Inhaltlich hat sich die Zeitschrift in den letzten Jahrzehnten von einer Art unterhaltsam-lehrreichem Familienblatt mit Poesie, Notenblättern, Zeichnungen und Kurzgeschichten, zu einer überwiegend wissenschaftlichen Schrift gewandelt. Die Rubriken der Inhaltsverzeichnisse jedoch haben sich im großen und ganzen über die Jahrzehnte hinweg unverändert erhalten: Allgemeine Geschichte, Bildende Kunst, Archäologie, Bergbau, Musik, Ortsgeschichte, Lebensbeschreibung, Naturkunde, Heimatschutz - lediglich Abteilungen wie „Heimgarten“ oder ähnliche, wo sich das unterhaltsame Allerlei fand, sind mittlerweile verschwunden. Wie die einzelnen Artikel unter die jeweilige Rubrik gelangen, ist nicht immer klar; manche Themen stehen dann auch unter mehreren Übertiteln zugleich. Innerhalb der Rubrik „Volkskunde“ scheint die Zuordnung leicht zu fallen, hier werden Beiträge zu Krippenfiguren, Heimatmuseen, zum Bauernhöfe Museum Kramsach oder zum Tischkegelspiel subsumiert.

Die Geschichte der Heimatblätter ist eng mit jener der Heimatbewegung verbunden. Nach 1938 besorgte die Landesgruppe Tirol des Deutschen Heimatbundes die Herausgabe; ab 1942 erschienen Heimatblätter für den Reichsgau Tirol und Vorarlberg. Einige Jahrgänge während des Zweiten Weltkrieges fielen aus. Nach 1947 wurde die Zeitschrift wieder regelmäßig produziert. Viele Jahre, von 1940 bis zum 50. Jahrgang 1975, blieb das Titelbild unverändert. Anläßlich dieses Jubiläums, wagte man einige optische Veränderungen. Das erste Heft des Jahres bringt einen Festaufsatz. Als zentrale Aufgabe formuliert der scheidende Herausgeber die „Erforschung Tirols bis in seine unscheinbarsten Ereignisse“, hervorgehoben wird die „regelmäßige Bebilderung“, die ab 1925 erfolgte, nicht besonders eingegangen wird auf die Situation der Heimatblätter während der NS-Ära. Hingegen ist erklärt, warum die Volkskunde, die einst im Vordergrund stand, von anderen Fächern verdrängt worden war: „seit 1947 trat durch den Ausfall der meisten Heimatforscher und Volkskundler die Kunst- und Landesgeschichte stärker in Erscheinung, immer aber bezogen auf ein breites Leserpublikum und ohne die heute beliebte, in Fremdwörtern sich ergehende fachliche Selbstbespiegelung.“ Beteuert wird hier des weiteren, daß die Tiroler Heimatblätter nicht Sprachrohr des Verbandes seien, welcher eigene Mitteilungsblätter beilegt. Für die Zukunft werden mehr Mitarbeiter zu Naturwissenschaften und Volkskunde herbeigesehnt, und: „Um wenigstens nach außen attraktiver zu werden, sind ab diesem Heft wechselnde Titelblätter vorgesehen.“ (Jg. 50, 1975, H. 1, 1).

Vordem schienen die Redakteure und Redakteurinnen selbstbewußter; im 4. Heft des 9. Jahrganges (1931) sind unter „Briefkasten“ Reaktionen von Leserinnen und Lesern plaziert. Der Landesschulrat von Tirol empfiehlt die möglichst intensive Verbreitung und Förderung der Blätter; der Außerferner Bote schreibt von einer herrlichen Zeitschrift für Volkskunde und Heimatschutz und beteuert: „Es ist dringend zu wünschen, daß dieselben in den weitesten Volkskreisen Verbreitung finden, um altes, verlorengegangenes Brauchtum neu zu beleben und Wesensfremdes dem Volke fernzuhalten.“ Der Rezensent erinnert an die Notwenigkeit, den Interessen des Fremdenverkehrs zu dienen - die Heimatb1ätter sollen in jedem Gasthaus für den „honetten Gast“ aufliegen. In den Mitteilungen der Tiroler Lehrerkammer steht: „jede Schule, jeder Lehrer soll sie haben“; „ein Schwede“ meint: „jedes Wort können wir nicht verstehen, aber doch so viel, daß wir ein großes Vergnügen daran haben“, und eine Moarhausbäurin aus St. Ulrich lobt die „Einstellung auf den Bauernstand“ (alles Jg. 9, 1931, H. 4, 151 f).

In den Rezensionen werden alle möglichen Druckwerke besprochen - 1931 zum Beispiel ein Buch über schmiedeeiserne Grabkreuze, der Almanach des Hotel Tyrol, ebenso wie eine Abhandlung über Entstehungsgeschichte und Vorzüge der Tiroler Skischule und die Tiroler Soldaten-Zeitung. Belletristik wird nicht ausgespart. Während in frühen Heften Buchbesprechungen manchmal fehlen, wird heute regelmäßig rezensiert. Die Artikel konzentrieren sich auf Tirol, Südtirol und Trentino („Alt-Tirol“ also), wohl liegt der Schwerpunkt der behandelten Literatur bei Tirolensien, doch werden für die Buchbesprechungen die Grenzen auch überschritten (insbesondere in Richtung Bayern und Vorarlberg). Die Rezensionen sind meist sehr kurz und insgesamt wenig kritisch, sie haben eher die Funktion von Werbung.

Wie aus dem Titel unschwer zu schließen ist, kümmert sich auch die Tiroler Heimat um Themen aus dem Tiroler Raum, wobei wiederum nicht unbedingt die staatlichen Grenzen gelten, sondern auch Südtirol und Trentino von tirolischem Interesse sind. Begründer des Jahrbuchs war Hermann Wopfner, seine Nachfolge trat Franz Huter an. Derzeit geben die Historiker Fridolin Dörrer und Josef Riedmann die Zeitschrift heraus.

Das Jahrbuch bringt Aufsätze, kürzere Mitteilungen „Miszellen“ und Rezensionen fachspezifischer, wissenschaftlicher Literatur, hin und wieder auch Beihefte Tiroler Bibliographien. Als Autoren und Autorinnen fungieren in der Mehrzahl Historiker bzw. Historikerinnen aus dem universitären Bereich. Obwohl auch Forum für die Volkskunde, kommen die Artikel überwiegend aus verschiedenen Bereichen der Geschichte, neuere Nummern (seit Mitte der 1980er Jahre) berücksichtigen verstärkt Fragen der Zeitgeschichte. Seit 1974 finden sich in einigen Jahrgängen Beiträge und Begleittexte (neun Folgen) zum Tirol-Atlas. Auch dieses Periodikum erscheint in kleiner Auflage, trotzdem sind die Jahrbücher ab Band 12 (1948) lückenlos lieferbar. Einzelhefte kosten zwischen öS 240,- und öS 380,-. Finanzielle Unterstützung erfahren die Herausgeber durch das Tiroler Landesarchiv, die Kulturabteilung des Landes Tirol und das Bundesministerium für Wissenschaft

In der 50. Ausgabe (1986) beschreibt Franz Huter den Werdegang der Zeitschrift und teilt die Blattlinie des Organs mit: „Es dient nicht nur der Wissensvermehrung über unser ganzes, ungeteiltes Land, sondern auch der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der hier Forschungsergebnisse veröffentlichen kann. Die ,Tiroler Heimat’ arbeitet wie von Anfang her noch immer ohne Honorare und gibt so ein Beispiel des wissenschaftlichen Idealismus ...“ (Jg. 50, 1986, 7). In diesem Jahr findet ein Verlagswechsel statt, und wie die Tiroler Heimatblätter modernisiert die Tiroler Heimat anläßlich des 50. Jubiläums ihr Erscheinungsbild.

In frühen Ausgaben beherrschen Themen rund um die „ungerechte Brennergrenze“ die Zeitschrift. Zahlreiche fragwürdige geschichtliche Zeugnisse der deutschen Zugehörigkeit Südtirols werden geliefert, das Problem wird von juristischer, sprachwissenschaftlicher, germanistischer, volkskundlicher Seite her aufgerollt - die Ergebnisse scheinen zweifelhaft. Vorrangiges Ziel ist die „Erhaltung tirolischen Bewußtseins“ besonders in südlichen „Landesteilen“.

1928 wurde aus der bisher aufgrund materieller Schwierigkeiten als Almanach erschienen Tiroler Heimat eine Zeitschrift. Mit dem Band 9/10 wurde das Jahrbuch eingestellt, denn die Haltung gegenüber der Südtirolfrage, so begründet Franz Huter, entsprach nicht der nationalsozialistischen Ideologie (vgl. Jg. 50, 1985, 6). Seit 1947 wird die Zeitschrift wieder regelmäßig herausgegeben.

Volkskundliche Aufsätze sind bis Mitte der 1970er Jahre stärker vertreten als in aktuellen Ausgaben. Es fanden vor allem „klassische“ Themen Beachtung - Hausforschung, Gerätevolkskunde, Volkskunst, Wallfahrt, Dialekt- und Brauchforschung. In den letzten Jahren wird - wie schon erwähnt - vermehrt der Zeitgeschichte Platz eingeräumt, auch Themen der Alltagskulturforschung und Wirtschafts- und Sozialgeschichte kommen häufiger vor, alles Fachbereiche, die für eine interdisziplinär ausgerichtete Volkskunde interessant sind.

Im Jahrbuch 1995 ist wieder einmal ein umfangreicher Aufsatz eines Volkskundlers zu lesen. Karl Ilg bringt einen Überblick der Geschichte der tirolischen Volkskunde bis 1980. Ausführlich setzt sich Ilg mit den Reiseliteraten des 18. und 19. Jahrhunderts auseinander, betont den Quellenwert ihrer Beschreibungen. Des weiteren listet er eine Vielzahl von Personen und deren Hauptwerke, Institutionen und Medien auf, die im Umfeld der Volkskunde in Tirol von Bedeutung waren. Abschließend werden noch Doktorarbeiten, die am Innsbrucker Volkskunde-Institut entstanden sind, angeführt. In den Miszellen wird aus dem Deutschen Volksliedarchiv, wo gerade ein neues Vierzeiler-Lexikon erstellt wurde, kurz über Tiroler Liedüberlieferungen berichtet.

Das Schwergewicht der besprochenen Literatur liegt auf Tirolensien; Werke, die sich mit angrenzenden Regionen beschäftigen, werden jedoch immer wieder berücksichtigt. Auffallend ist, daß viele Publikationen italienisch-sprachiger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen einbezogen werden. Die Rezensionen sind hier nicht bloß Empfehlungen, gut gemeinte Buchtips, sondern gehaltvoller, kritischer und wissenschaftlicher als jene in den Heimatblättern. Einige Male finden sich Erwiderungen von Autoren und Autorinnen, daran anschließend die Replik der Rezensentin beziehungsweise des Rezensenten.

Ein Vergleich der beiden Zeitschriften drängt sich auf. Auch wenn sich die namentlich so ähnlichen Periodika regional, geographisch, zeitlich und fachlich im selben Themenkreis bewegen, tun sie dies auf verschiedene Art und Weise und richten sich damit an ein jeweils anderes Publikum. Das Jahrbuch Tiroler Heimat spielt, so nehme ich an, eine größere Rolle im regionalen wissenschaftlichen Diskurs; die Tiroler Heimatblätter wenden sich an eine breitere Leserschaft, gehen in Richtung Populärwissenschaft, obwohl sie in den letzten Jahren deutlich anspruchsvoller geworden sind. Das heißt nicht, daß die Lektüre der Heimatblätter von geringerem Interesse wäre. Prägnante inhaltliche Gemeinsamkeiten sind die Themenschwerpunkte, zum Beispiel versammeln sich 1995 in beiden Zeitschriften aktuelle Artikel zur Tiroler Landesausstellung „Eines Fürsten Traum. Meinhard II. - das Werden Tirols“ in Stift Stams/Schloß Tirol. In den Tiroler Heimatblättern erfahren die Leser und Leserinnen etwas über die Baugeschichte von Stift Stams, die Wirtschaftsgeschichte des Klosters, und die Reihe „Kurios & kostbar“, in der merkwürdige Museumsexponate vorgestellt werden, ist dem Kappadozischen Pferd aus dem Stiftsmuseum gewidmet. Fast die Hälfte des Bandes der Tiroler Heimat nehmen Beiträge zum 13. Jahrhundert ein, das ist jene Epoche in die die Regierungszeit Meinhards II. fällt. Ein Aufsatz dreht sich um Tirols ältestes Lehenbuch, mit Politik und Finanzpolitik des Fürsten setzen sich weitere Beiträge auseinander, auch eine Arbeit zur Baugeschichte der Burg Tirol ist zu lesen.

Der Terminus „Tiroler“ spielt bei beiden Zeitschriften eine große Rolle, nicht nur als Hinweis auf den Erscheinungsort, auch bezüglich der inhaltlichen Gestaltung. Das Programm eines Mediums thematisch auf eine Region zu konzentrieren, ist nichts Unübliches und legitim. Anzunehmen ist, daß in dem Begriff „Tiroler“ ein tieferer Sinn liegt, so wäre es interessant zu erforschen, welche Bedeutungen er jeweils beinhaltet und welche Ideen transportiert werden sollen. Bemerkenswert ist der geographische Raum, den die beiden Zeitschriften mit „Tirol“ umfassen. Sowohl die Tiroler Heimatblätter als auch die Tiroler Heimat gehen sehr selbstverständlich davon aus, daß sich dieses Heimatland Tirol über Staatsgrenzen hinaus auf die italienische Provinz Südtirol und bis hin in das Trentino erstreckt.

Ähnlich wichtig ist wohl der Begriff „Heimat“ der im Titel beider Zeitschriften aufscheint. Ich behaupte, daß die Tiroler Heimattlätter eher als die Tiroler Heimat den landläufigen Vorstellungen von eben der Tiroler Heimat gerecht werden (mehr noch als für die Gegenwart gilt dies für die Vergangenheit). Denn hier geht es vor allem um Tirol als schöne, entdeckens- und besuchenswerte Heimat, viel Aufmerksamkeit erhält, was als kurios und kostbar gilt. Das Wissen und das Bewußtsein um die Schätze, die im schönen Tirol zu heben sind, wird unter die Leute gebracht. Nicht unerwähnt bleibt, daß derlei Kulturgut sorgsamer Pflege bedarf. Das Tirolbild, das in der Tiroler Heimat vermittelt wird, scheint weniger „heimelig“. Das Land ist hier natürlich auch ein schönes, dazu ein geschichtsträchtiges und erforschenswertes - doch wird die Geschichte kritischer beleuchtet, die unbewältigte, verdrängte Vergangenheit nicht ausgespart und auch problematische, wenig unterhaltsame Aspekte der Historie kommen zur Sprache.

Nikola Langreiter

 

  

Tiroler Heimat. Jahrbuch für Geschichte und Volkskunde, Bd. 61, 1997, 332 Seiten

Bei gleichbleibendem Verkaufspreis (380,- Schilling) ist der vorliegende Band dieser in Innsbruck erscheinenden Zeitschrift um zwanzig Seiten stärker als die letzte Ausgabe. Während deutlich weniger rezensiert wird, sind im Beitragsteil drei Texte mehr zu lesen. Dennoch ist, verglichen mit dem vorhergehenden, dieser Band weniger vielfältig - sowohl inhaltlich, von den Themen her, als auch hinsichtlich der behandelten Epochen und der herangezogenen Quellen. Drei der acht Aufsätze sind beispielsweise mit Mittelalterhistorie befaßt, und die frühe Landesgeschichte Tirols wird jeweils anhand politischer Urkunden beleuchtet. Zehn Rezensionen (von insgesamt 22) stammen von einem der beiden Herausgeber, dem Historiker Josef Riedmann.1 Die Besprechungen beziehen sich, eine ausgenommen, auf 1995/96 erschienene Werke und sind somit wirklich aktuell. Berücksichtigt wurden primär Publikationen zu Geschichtsforschung in einem sehr engen Sinn; im Zentrum steht Tiroler Landesgeschichte (wie selbstverständlich bezogen auf „Alttirol“), ein Schwerpunkt liegt bei Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Drei mit Zeitgeschichte befaßte Werke werden vorgestellt, und zwei der rezensierten Arbeiten sind thematisch - Schützenwesen und religiöses Brauchtum - der klassischen Volkskunde zuordenbar. Mit den Besprechungen gelingt es durchwegs, einen ersten Eindruck und Überblick zu vermitteln; gelobt werden wissenschaftliche Sorgfalt und Tirolbezug, dessen Fehlen und die Nichtzurkenntnisnahme regionaler Forschung geben mehrmals Anlaß zu Reklamationen.

Im ersten Artikel berichten Heinz Müller, Student am Forschungsinstitut für Alpine Vorzeit, und Siegfried Nicolussi, Ur- und Frühgeschichtler, über eine prähistorische Fundstelle im Tiroler Sellraintal. Nach einer Orientierung verschaffenden geographischen Beschreibung des Gebiets folgen eine Passage zu früheren Funden und die Schilderung der unternommenen Probegrabungen. Verwirrend, daß landwirtschaftliche Tätigkeit als einer der maßgeblichsten Störfaktoren der Archäologie beschrieben wird, obwohl oft - und auch in diesem Fall - erste Hinweise auf Fundstellen von Bauern kommen, Streufunde nicht selten bei Feldarbeit entdeckt werden. Die Auswertung der Keramikbruchstücke ist noch im Gange; die Autoren versuchen eine erste, vorsichtige chronologisch-kulturelle Einordnung des Fundes: „Der Gesamteindruck ist ein spätbronzezeitlicher“ (12).

Ein Zeitsprung: im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Siedlungsgeschichte Nordtirols am Innsbrucker Institut für Klassische Archäologie ist Irmtraut Heitmeier bestrebt, antike Quellen aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Es geht um den Alpenfeldzug der Römer, unter Drusus und Tiberius 15 vor 0, und seine Auswirkungen auf Raumorganisation und Bevölkerung des mittleren Inntals. Die spärlichen Überlieferungen lassen breiten Spielraum und so kursieren Thesen - von bewahrter Selbständigkeit auch im Römischen Reich bis zum Gegenteil, der gewaltsamen Integration der Unterworfenen. Die Quellen, so meint die sich von den Sprachwissenschaften nähernde Autorin, ließen nicht auf Vernichtung der Bewohnerinnen und Bewohner schließen. Von den römischen Truppen vorgenommene Rekrutierungen gelten ihr als „Aderlaß für eine übervölkerte Gebirgsregion“ (21). Die Indizien für eine Dominanz der autochthonen Bevölkerung würden überwiegen, als „Paßstamm“ hätte sie sich Eigenständigkeit und Identität trotz Unterwerfung bewahrt, eine Zerstörung lokaler Strukturen sei gar nicht im römischen Interesse gelegen.

Thomas Ertl handelt in seinem Aufsatz 59 Jahre Mittelaltergeschichte Innsbrucks ab. Er geht dazu auf vier, mit der Stadtwerdung der Siedlung in Zusammenhang stehende Urkunden ein. Er interpretiert die Schriftstücke als symbolische Handlungen, vergleicht sie miteinander, konzentriert sich dabei vor allem auf inhaltliche und formale Veränderungen und übt Quellenkritik. Von vielen Seiten wurde Begehrlichkeit auf den wachsenden Marktort an der wichtigen Transitroute durch die Ostalpen gerichtet, das läßt sich an den Dokumenten zeigen. Interessant ist die Rolle des Stiftes Wilten, das immer wieder auf Absicherung eigener Rechte und Privilegien gegenüber der expandierenden Stadt bedacht war. Zur Wahrung der eigenen Interessen schreckte man im Skriptorium des Konvents auch vor Urkundenfälschung nicht zurück.

In Imst tauchte kürzlich ein bisher unbekanntes Diplom Herzog Rudolf des IV. auf. Die Urkunde aus dem 14. Jahrhundert bestätigt Privilegien der Oberländer Gemeinde. Sebastian Hölzl vom Tiroler Landesarchiv erläutert den politischen Hintergrund, erklärt den Entstehungszusammenhang dieses Papiers, interpretiert den Rechtsinhalt und stellt durch Vergleich mit anderen Zeit, Ort, Ereignis und Regentschaft betreffenden Urkundentexten seine Bedeutung fest. Interessant wäre hier zu erfahren, warum die „archivgeschichtliche Sensation“ (77) vom lokalen Museumsverein dem Tiroler Landesarchiv überlassen wurde. Weiter geht es mit Quellenkunde zur Geschichte des Mittelalters: Wilhelm Baum liefert ein Verzeichnis der Tiroler Landesfürsten und der habsburgischen Städte aus Chur (14. Jahrhundert). Auf eine kurze Einleitung folgt die Edition der beiden Listen.

Elisabeth de Felip-Jaud widmet sich der Auswertung einer Reisebeschreibung aus dem Bestand der Handschriftensammlung der Innsbrucker Universitätsbibliothek. Im Zuge der Vermählung Erzherzogin Margaretes von Innerösterreich mit dem spanischen Thronfolger Philipp III., 1598, verfaßte Giovanni Battista Clario, Leibarzt des Bruders der Braut, zwei Jahre später eine Beschreibung des Brautzugs von Graz bis Trient. Der Germanistin schätzt den Reisebericht als Quelle für fürstlichen Alltag und Umgangsformen (woraus sich nicht exakt auf ihren Alltagsbegriff schließen läßt) und betont seine kulturhistorische und sprachgeschichtliche Einmaligkeit: „Dem Leser ist eine lehrreiche und wirklich köstliche Lektüre garantiert“ (121). Der Text Clarios war als offizielles Dokument gedacht und ist dementsprechend gestaltet; deutlich wird dies, wenn Felip-Jaud ihn mit anderen Quellen vergleicht, zum Beispiel privaten Briefen der mitreisenden Brautmutter oder der Braut. Schade, daß nähere Interpretationen der registrierten Unterschiede fehlen. Umso ausführlicher diskutiert werden die sprachlichen Probleme des italienischen Chronisten. Er „mißversteht“ deutsche Orts- und Personennamen und schreibt sie falsch. Dazu übersetzt und italienisiert Clavio - macht aus Stobäus einen Stobeo, zig Beispiele werden aufgelistet.

Bei Pater Thomas Naupp geht es um Georgenberger Kirchengeschichte; er nimmt die Auswertung zweier handschriftlicher Aufzeichnungen zu Bestattung, Neuwahl und Einsetzung von Äbten vor. Er versucht, aus dem Material die Lebensgeschichte der betreffenden Geistlichen zu rekonstruieren, Rückschlüsse auf deren Persönlichkeit zu ziehen - besser gelingt es ihm, die Geschichte des Klosters unter der Ära der jeweiligen Vorstände zu erzählen. Die Aktenstücke erlauben Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Situation, auf Ausgaben und Einkommensquellen, die politische und gesellschaftliche Rolle der Gemeinschaft; sie berichten über Schicksalsschläge, Katastrophen und die Tätigkeit der Benediktiner sowie deren Weltanschauung. Der Autor, Stiftsbibliothekar und Archivar im Benediktinerstift Fiecht-Georgenberg, bewegt sich in seinem Spezialgebiet, in 16 Fußnoten (von 43) verweist er auf eigene einschlägige Werke.

Mit dem Text Richard Schobers über die Entwicklung der Tiroler Heimatwehr zwischen 1928 und 1936 wird der Zeitgeschichte Platz eingeräumt. In den Miszellen listet Christian Fornwagner Tirol („Alttirol“) betreffende Bestände des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung in Wien auf; der Kompilator berücksichtigt Urkunden, Siegel und Nachlässe für den Zeitraum vor 1919 sowie Hausarbeiten und Dissertationen. Georg Jäger setzt sich kritisch mit der Siedlungsgeschichte auseinander. Er bemängelt das Defizit bezüglich der Erforschung ländlicher Ausbausiedlungen des 18./19. Jahrhunderts und geht dann dem Einfluß der „Gärtner“, Häusler ohne weiteren Grundbesitz, auf das Dorfgefüge nach. Am Beispiel von fünf Gemeinden zeigt er, daß Landwirtschaft um 1850 auch im „Bauernland Tirol“ nicht den alleinigen Erwerbszweig ausmachte, handwerklich-gewerblich orientierte Kleinhäusler waren stark vertreten. Ihre Tätigkeit war vielfältig, beschränkte sich keineswegs auf Taglöhnerei bei Bauern.

Auf Basis einer Dimplomarbeit bietet die nächste Mitteilung einen historischen Abriß über Bittgänge und Wallfahrten in Thiersee im Tiroler Unterland. Der Text besteht aus einer Aufzählung der Wallfahrten und Bittgänge, mit ihren Zielorten, Daten und Terminen. Eine Erläuterung der Motive über die grobe Einteilung hinaus - Bitten um günstiges Wetter, um gutes Gedeihen des Viehs, Ablaß, das Ehren bestimmter Heiliger - gibt Manfred Thaler nicht. „Der Johannistag (24. Juni) war in Thiersee nicht nur Träger uralter Sonnwendbräuche, sondern auch Träger rein kirchlichen Brauchtums“ (244) - man vermißt die Rezeption zeitgemäßer volkskundlicher Literatur. Michael Gehler schließlich macht mit Tagebuchblättern des Rechtsanwaltes Eduard Reut-Nicolussi bekannt; der Südtirolaktivist schildert seine Flucht aus Italien 1927. Eine knappe Einleitung führt zu den im Originaltext edierten Tagebuchseiten. Im Anmerkungsteil klärt Gehler über beteiligte und genannte Personen auf und nennt weiterführende Literatur. Mittels Nachwort äußert sich Herausgeber Fridolin Dörrer zum ausgeklügelten Fluchtweg durch das Grenzgebirge. Er betont die von Reut-Nicolussi erlittene körperliche und psychische Anstrengung und bedankt sich bei den ortskundigen Führern, den Brüdern Holzknecht, die „für die gegenseitige Hilfe der Südtiroler zeugen“ (260). Eine Landkarte ergänzt das Nachwort; der Tagebuchauszug ist mittels Faksimile und Fotos von Reut-Nicolussi und einem seiner Fluchthelfer illustriert.

Insgesamt ist der Band 61 der Tiroler Heimat reicher mit Abbildungen versehen als die letzten Nummern; bemerkenswert ist, daß bei einigen Artikeln die wichtigsten Dokumente im Anhang abgedruckt sind. Clarios „Bericht über die [gesehenen] Ereignisse auf der Reise von Graz nach Trient der Durchlauchtigsten ...“ findet man sogar im Original und in Übersetzung.

Wie gewohnt schließen Begleittexte zum Tirol-Atlas (Nr. XIII) das Jahrbuch. Diesmal sind sie geographischer und wirtschaftsgeographischer Art, enthalten knappe Erläuterungen zu den Karten und geben über Daten- und Quellenlage Auskunft. Neben Überblickskarten zu Topographie, Verwaltungs- und Planungseinheiten, werden Alm- und Waldwirtschaft sowie tourismusspezifische Themen präsentiert.

Nikola Langreiter