| metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und
feministische Praxis, Jg. 6, 1997, H. 11, 166 Seiten, und H. 12, 128
Seiten
Die Zeitschrift metis erhielt ihren Namen, der „Weisheit“ oder „Klugheit“ bedeutet, nach einer Frauengestalt der griechischen Mythologie. Metis war die Tochter von Oceanos und Tethys sowie Zeus’ erste Gattin. Als Zeus eine Warnung erhielt, Metis werde ihm einen Sohn gebären, der stärker sei als er selbst, wurde sie von ihm verschluckt und somit ausgelöscht. Metis blieb „im Denken der Griechen als eine mentale Kategorie präsent - als Ausdrucksform und Symbol praktischer Intelligenz, in der Scharfsichtigkeit, Voraussicht und wachsame Aufmerksamkeit mit Gespür und Erfahrung kombiniert werden“, heißt es auf der Rückseite der Zeitschrift über deren Namenspatronin. In der Selbstdarstellung von metis wird das Programm der Zeitschrift mit Blick auf die griechische Göttin näher erläutert: Das Schicksal der metis, kompetent zu sein, dennoch oder gerade deshalb verschwinden zu müssen, gleicht den Erfahrungen von Frauen in der Geschichte und mit der Geschichtswissenschaft. metis wird zum Sinnbild für einverleibte weibliche Beteiligung am materiellen wie symbolischen Vergesellschaftungsprozeß. [...] Mit ihrer annektierten Geschichte verkörpert die Göttin metis die Bedingung der Möglichkeit anderer, nichtandrozentrischer Geschichtssichten. Als Denkform verweist metis auf ein methodisches Prinzip, diesen anderen Geschichtssichten auf die Spur zu kommen. (Anhang, o. S.) Versucht wird dies in der unter anderem von Christina von Braun und Annette Kuhn herausgegebenen Zeitschrift seit 1992 in jährlich zwei Heften zu verschiedenen Schwerpunktthemen. Mit der ersten Nummer wurde die Frage Ist die Nation weiblich? gestellt, weitere Themen waren zum Beispiel Leibesvisitationen (1993), Fremd im einig Vaterland - Deutsche Wenden aus der Sicht von Frauen (1993), Lebensmittel: Wissen, Bildung, Erfahrung (1994), Technikgeschichten (1995), Das Leid mit der Liebe (1995) oder Grenzerfahrungen: Tod - Selbsttötung (1996), die beiden Hefte des vorliegenden Jahrganges sind der Reinheit (H. 11) und dem Kleiderkampf (H. 12) gewidmet. metis verfolgt einen interdisziplinären Ansatz und versammelt daher nicht nur Beiträge von Historikerinnen und Historikern, sondern auch solche von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener anderer Disziplinen. Ohne daß der Begriff als Programm oder als Vermarktungs-Etikett aufscheinen würde, kann metis - zumindest in Hinblick auf die letzten Hefte - als eine kulturwissenschaftliche Zeitschrift im besten Sinne bezeichnet werden. Neben den Beiträgen zum jeweiligen Schwerpunktthema enthalten die einzelnen Hefte ein Editorial, fallweise eine Einführung zum Schwerpunkt, einen Diskussionsteil, Rezensionen, Berichte und Nachrichten, Hinweise auf eingegangene Bücher und Informationen zu den Autorinnen und Autoren. Heft 11 ist einer zentralen kulturellen Kategorie, der Reinheit, gewidmet. Die darin enthaltenen Beiträge sind so vielschichtig und heterogen wie das Thema selbst, ohne jedoch eine erschöpfende Darstellung beanspruchen zu wollen. Im einleitenden Aufsatz versucht die Kulturtheoretikerin und Filmemacherin Christina von Braun eine Systematik in die unterschiedlichen Begriffsbedeutungen und -ebenen von Reinheit zu bringen, wobei am Schluß die zentrale Erkenntnis steht, daß Reinheit immer Formen des Ausschlusses beziehungsweise des Einschlusses beinhaltet. Das ist zwar an sich nichts Neues - Sauberkeit/Reinheit und Schmutz als Kategorien der Differenz wurden schon in früheren Studien zu Aspekten dieses Themenkomplexes herausgearbeitet -, doch handelt es sich hier um eine sehr brauchbare und klärende Analyse, in der religiöse, politische, psychologische, sexuelle, wissenschaftliche, ästhetische und hygienische Aspekte gemeinsam behandelt werden, was allgemeine und grundsätzliche Aussagen über den Begriff Reinheit auf eine breitere Basis zu stellen erlaubt. Im nächsten Beitrag erhellt der Kulturtheoretiker und Künstler Martin Burckhardt den Zusammenhang von unbefleckter Empfängnis und technischer Reproduktion. Die Politik- und Kulturwissenschaftlerin Anna Bergmann beschäftigt sich mit dem Töten, Opfern, Zergliedern und Reinigen in der Entstehungsgeschichte des modernen Körpermodells. Ulrike Brunotte nähert sich aus religionswissenschaftlicher Sicht der Reinheit des Erhabenen am Beispiel des frühen amerikanischen Puritanismus. Phantasmen empfindsamer Suche nach dem reinen Selbst stehen im Mittelpunkt der Anmerkungen zu einer literarischen Initiationsgeschichte des modernen Subjekts im 18. Jahrhundert der Literaturwissenschaftlerin Susanne Komfort-Hein. Ulrike Kistner, ebenfalls Literaturwissenschaftlerin, erforscht in ihrem Beitrag - von Schriften zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten ausgehend - die Zusammenhänge von Nationalismus, Rassismus und bio-politischer Seuchenbekämfpung. Die Kunsthistorikerin und Ethnologin Hilla Frübis untersucht Portraitdarstellungen in Hinblick auf Repräsentationen und Vorstellungen von der „reinen Jüdin“. Mit der berühmt-berüchtigten Selbstinszenierung der amerikanischen Fotografin Lee Miller in Hitlers Badewanne beschäftigt sich die Germanistik- und Kunststudentin Jutta Göner und schließlich spürt Insa Härtel Orte des reinen Glücks seitens der Architektur auf. In der Rubrik „Diskussion“ erscheint der Beitrag von Herbert Mehrtens, der sich als Wissenschafts- und Technik-historiker unter dem Titel Verantwortungslose Reinheit mit dem Reinheitsmythos der Wissenschaften auseinandersetzt. Insgesamt also zehn Beiträge, die sich von verschiedenen Seiten her und mit unterschiedlichem Erkenntnisinteresse mit Reinheit befassen - allesamt tragen sie dazu bei, die Bedeutung der Kategorie Reinheit in verschiedensten Diskursen und Lebensbereichen offenzulegen. Dem „Kleiderkampf“ ist das Heft 12 gewidmet, gleich im Editorial werden die Leserinnen und Leser jedoch beruhigt mit dem Hinweis, daß damit keineswegs geplant sei, einem militanten Diskurs zu verfallen, sondern es darum gehe, die Auseinandersetzungen und vielschichtigen Bezüge des Verhältnisses von Kleider-Code und Geschlechterdifferenz nachzuzeichnen. Mode sei als Strukturprinzip unserer Gesellschaft allgegenwärtig geworden und biete sich wie kein zweites Feld dazu an, Geschlecht zu entsubstantialisieren und als soziale Kategorie sichtbar zu machen: In den jeweiligen Kleidercodes kreuzen sich nicht nur die Diskurse von Geschlecht, Klasse, Rasse, Religion und Generationen, sondern auch Phantasien, Ängste und Abwehrstrategien, die die jeweiligen Bedeutungen von Subjekt, Identität und Körper historisch und gegenwärtig konstituieren. (Editorial) Das Heft möchte mit seinen Beiträgen einen Einblick in die einschlägigen Diskussionen in den Literatur- und Sozialwissenschaften bieten. Diesen Einblick gewähren zur Einführung Adolphe Binder und Susanne Benedek, die sich in ihrem Beitrag mit dem Titel Von sprechenden Leibern und tanzenden Kleidern Gedanken zum Crossdressing-Phänomen machen. Dann blickt Elfi Bettinger zurück in das England der Frühen Neuzeit und analysiert die Zusammenhänge von Kleiderordnung und Geschlechterkampf. Julika Funk beschäftigt sich mit Mode und Geschlechterdifferenz bei Georg Simmel, Gertrud Lehnert mit modischen Inszenierungen, Gesa Kessemeier mit der Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode des 19. und 20. Jahrhunderts und Anne Schlüter mit Kleiderordnung als Erfahrung sozialer Ungleichheit. In der Rubrik „Diskussion“ macht Julia Zernack unter dem Titel Germanin im Hauskleid Bemerkungen zu einem Frauenideal deutscher Gelehrter, und in der Rubrik „Tradition“ wird ein Auszug aus Das bürgerliche Kostüm aus Eduard Fuchs’ Sittengeschich-te abgedruckt. Ein „unverhüllter Tagungsbericht“ von Ulrike Baureithel, in dem sie über die 1997 von der Evangelischen Akademie Tutzing veranstaltete Tagung „Mode - Fetisch - Geschlecht“ berichtet, rundet den Kleiderkampf ab. Die Beiträge zu diesem Schwerpunktthema geben einen guten Einblick in die gegenwärtigen Diskussionen zu Mode/Kleidung und Geschlechterkonstruktionen/Geschlechterinszenierungen, sie vermögen aber auch jenen, die sich schon länger mit diesen Fragen beschäftigen, neue Perspektiven zu eröffnen. Insgesamt zeichnet sich metis nicht nur durch die Qualität der Beiträge, sondern auch durch die Aktualität der gewählten Schwerpunktthemen aus, in denen jeweils zentrale Debatten im weiten Feld der Cultural Studies/Women Studies/Gender Studies sowie der Frauen- und Geschlechterpolitik aufgegriffen und weitergeführt werden. Dies geschieht in jeweils sehr anregender und erhellender Weise. metis veranschaulicht mit jeder neuen Nummer, daß die Verknüpfung von kulturwissenschaftlichen Ansätzen mit der Frauen- und Geschlechterforschung äußerst fruchtbar und gewinnbringend sein kann. Die Rezensionen, Berichte und Nachrichten ergänzen einerseits das Schwerpunktthema um einschlägige Hinweise, andererseits kommen hier aber zusätzlich noch andere Themen zum Zug. So erfährt man/frau beispielsweise, wo Tagungen zur Frauen- und Geschlechterforschung stattfinden, oder daß in Köln ein interdisziplinärer wissenschaftlicher Arbeitskreis zu Frauen und Gärten ins Leben gerufen und in Hannover ein Trägerverein für eine internationale Frauenuniversität gegründet wurde. Hier kann also zusätzlich zu den theoretisch-methodisch-historischen Erkenntnissen, die sich aus der Lektüre der in metis enthaltenen Aufsätze ergeben, noch Einblick in die im Untertitel der Zeitschrift angesprochene „feministische Praxis“ genommen werden. metis erscheint zweimal jährlich in der Dortmunder edition ebersbach, das Einzelheft ist um 178,- Schilling erhältlich, das Abonnement kostet 281,- Schilling. Susanne Breuss
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