L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, Jg. 8, 1997, H. 1-2, 350 Seiten

Mit L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft wurde 1990 das erste Periodikum für die Frauen- und Geschlechtergeschichte im deutschsprachigen Raum geschaffen. Die Initiative dazu ging von der Wiener Historikerin Edith Saurer aus. Träger der Zeitschrift ist der Verein zur Förderung von L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft mit Sitz am Institut für Geschichte der Universität Wien. Bis 1996 wurde die Zeitschrift von österreichischen Wissenschaftlerinnen verschiedener Disziplinen herausgegeben, dann erfolgte eine Ausweitung des Herausgeberinnenkreises über Österreich hinaus, was dem Anspruch einer internationalen Verankerung verstärkt Nachdruck verlieh - der Auf- und Ausbau eines Netzwerkes zwischen österreichischen und ausländischen Forscherinnen und Forschern gehört zu den erklärten Zielen von L’Homme. Grundsätzlich liegt der Schwerpunkt der Zeitschrift in der Auseinandersetzung mit allen Teilbereichen der Geschichtswissenschaft, besonders jedoch mit der Sozialgeschichte und der historischen Anthropologie. Angestrebt ist eine kontinuierliche Beschäftigung mit Fragen der feministischen Theorie und der Frauen- und Geschlechtergeschichte. L’Homme fühlt sich der vielerorts sichtbaren Entwicklungstendenz der historischen Frauenforschung hin zu einer Geschlechtergeschichte verpflichtet und versteht dies als die wesentliche Herausforderung. Der Titel der Zeitschrift - L’Homme - sowie die Umschlaggestaltung - aus Leonardo da Vincis berühmter Proportionsskizze wurde der Mann entfernt - weisen bereits darauf hin: wider die Gleichsetzung von Mensch und Mann ist die Geschichte neu zu schreiben.

Die einzelnen Hefte von L’Homme werden durch Editorials eingeleitet, der Hauptteil enthält für gewöhnlich theoretische Abhandlungen sowie Beiträge zum jeweiligen Schwerpunktthema, dann folgen Aktuelles und Kommentare, Rezensionen, Annotationen, Abstracts und Informationen zu den Autorinnen und Autoren, fallweise gibt es die Rubrik Gespräche. Schwerpunkte der letzten Jahre waren zum Beispiel Religion (1/1990), Ernährung (1/1991), Intellektuelle (2/1991), Krieg (1/1992), Minderheiten (2/1992), Körper (1/1994), Interdisziplinarität (2/1995) oder Gewalt (2/1996). Für die nächsten Nummern sind die Themen Unzucht, Heimarbeit, Citizenship und Glück geplant. L’Homme will nicht nur historisch arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des deutschen Sprachraums ein Forum zur Präsentation und Diskussion ihrer Forschungsergebnisse bieten, sondern es wird auch besonderes Augenmerk auf Arbeiten aus Ländern gelegt, deren Forschungen hier schwer zugänglich sind: in den Heften der vergangenen Jahre befanden sich nicht nur Übersetzungen wichtiger Forschungsergebnisse aus Italien, Frankreich, England oder den USA, sondern auch solche von türkischen oder tschechischen Wissenschaftlerinnen.

L’Homme erscheint zweimal jährlich in einer Auflage von 1.000 Stück im Wiener Böhlau Verlag, das Einzelheft kostet 235 Schilling, das Abonnement 398 Schilling (für Studentinnen und Studenten 350 Schilling). Der relativ niedrige Abonnementpreis soll das Ziel einer möglichst breiten Vermittlung von Inhalten der feministischen Geschichtswissenschaft auch außerhalb wissenschaftlicher Kreise unterstützen. Seit 1995 wird ergänzend zur Zeitschrift eine Schriftenreihe mit dem Titel L’Homme - Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft herausgegeben. Hier werden Monographien und Sammelbände publiziert, die Raum für umfangreichere und detailliertere Studien bieten. Es ist geplant, in diesem Forum auch Quelleneditionen und Neuauflagen vergriffener Klassiker herauszubringen. Der Schwerpunkt des Programms liegt bei deutschsprachigen Arbeiten, aber auch Übersetzungen aus anderen Sprachen sollen berücksichtigt werden. Bisher sind erschienen: Die Religion der Geschlechter. Historische Aspekte religiöser Mentalitäten, herausgegeben von Edith Saurer (1995) und Bürgerliche Frauenkultur im 19. Jahrhundert, herausgegeben von Brigitte Mazohl-Wallnig (1995).

Das erste Heft des 8. Jahrgangs trägt den Titel Vorstellungen und unterscheidet sich von den anderen bisher erschienen Nummern insofern, als es sich um eine von sämtlichen Herausgeberinnen von L’Homme gestaltete und geschriebene „Momentaufnahme der Forschungsinteressen von 13 Wissenschaftlerinnen [...], die sich seit vielen Jahren mit Frauen- und Geschlechtergeschichte auseinandersetzen und gemeinsam eine Zeitschrift herausgeben“ (Editorial) handelt. Sie soll Einblicke in deren Zusammenhänge des Nachdenkens, Analysierens und Kommentierens eröffnen. Im ersten Themenkomplex werden Liebe und Vernunft diskutiert. Edith Saurer beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit Liebe, Geschlechterbeziehungen und Feminismus, Herta Nagl-Docekal zieht eine Zwischenbilanz der feministischen Vernunftkritik, Susanna Burghartz schreibt über die Dialektik reformierter Ehetheologie am Beispiel Heinrich Bullingers, Ute Gerhard widmet sich alten Fragen und neuen Ansätzen feministischer Rechtskritik, Erna Appelt stellt die Frage, ob der Gesellschaftsvertrag feministisch konzipiert werden kann und Regina Schulte kommentiert einen Brief des Historikers Johann Gustav Droysen an seine Schwestern. Der zweite Themenkomplex handelt von Imaginationen und Provokationen. Hanna Hacker begibt sich auf die Spuren von Duellantinnen, Feministinnen und Halbweltdamen im Frankreich der Dritten Republik, Karin Hausen unterzieht Lothar Galls Bürgertum in Deutsch-land einer feministischen Kritik, Christa Hämmerle beschäftigt sich mit dem Liebesgabensystem im Ersten Weltkrieg, Birgit Bolognese-Leuchtenmüller mit der Entwicklung des Berufsbildes der Krankenschwester in Österreich seit dem 19. Jahrhundert, Claudia Ulbrich rezensiert eine Biographie des Chevalier d’Eon, die zum Nachdenken über Geschlechtergrenzen im 18. Jahrhundert anregt, Waltraud Heindl entwirft, eingebettet in die Vorstellung von Gabriella Hauchs Studie über Frauen im österreichischen Parlament, eine parlamentarische Fragestunde und Brigitte Mazohl-Wallnig widmet sich im Rahmen einer Besprechung von Sabine Weiss’ Buch über die Rolle der Frau in 1.000 Jahren österreichischer Geschichte der weiblichen Seite des Millenniums. Obwohl dieses Heft von der inhaltlichen Gestaltung her also „untypisch“ für L’Homme ist, kann es doch als „typisch“ für die Intentionen, Ansätze, Perspektiven und Fragestellungen dieser Zeitschrift bezeichnet werden, und es läßt die Frauen, die hinter diesem Projekt stehen, in den Vordergrund treten.

Heft 2/1997 erscheint wieder in der gewohnten Aufmachung und hat den Schwerpunkt Höfische Welt. Die Themenwahl markiert einen in den letzten Jahren zunehmend erkennbaren Trend, sich seitens der historischen Frauen- und Geschlechterforschung auch diesem gesellschaftlichen Bereich zuzuwenden, nachdem sie sich lange vor allem auf das Bürgertum konzentriert hatte. Im vorliegenden Heft geht es um Macht und Ohnmacht der Frauen sowie um die Inszenierung und Selbstdarstellung der Geschlechter in der höfischen Welt. Ute Daniel eröffnet den Schwerpunkt mit einem Blick auf die biographische Struktur eines Fürstinnenlebens der Frühen Neuzeit am Beispiel der Kurfürstin Sophie von Hannover, Jill Bepler setzt fort mit Tugend- und Lasterbildern einer Fürstin am Beispiel der Witwe von Schöningen, Claudia Schnitzer analysiert höfische Maskeraden der Frühen Neuzeit in Hinblick auf Geschlechterinszenierungen und -verkleidungen, Antje Stannek geht der geschlechtsspezifischen Sozialisation adeliger Knaben im 17. Jahrhundert nach und abschließend widmet sich Horst Wenzel der Kultur der Blicke und der Wahrnehmung von Körpern und Schriften am mittelalterlichen Hof. Die unterschiedlichen Zugangsweisen zur höfischen Welt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ermöglichen einen guten Einblick in das Thema, es werden verschiedene Methoden vorgeführt, sich diesen Lebenswelten mit Blick auf die Geschlechterverhältnisse und Geschlechterkonstruktionen anzunähern. Im letzten Beitrag des Aufsatzteiles beschäftigt sich schließlich Susan Zimmermann mit einem ganz anderen Thema, nämlich mit der Frage Wie sie Feministinnen wurden - hier geht es um die frühen ungarischen Feministinnen Rosza Schwimmer und Maria Gardos sowie um die Entwicklung der ungarischen Frauenbewegung. In den übrigen Rubriken des Heftes erfährt man/frau wie immer viel Neues und Interessantes. Zum Beispiel gibt es einen Forschungsbericht von Esther Fischer-Homberger und Esther Wildbolz-Quarroz mit dem Titel Ernähren und Gebären - Abrahams fruchttragender Schoß, in dem es um Imaginationen von Männern als Empfangende, Austragende und Gebärende geht, Ute Planert berichtet über ein Kolloquium an der TU Berlin zu Militär, Krieg und Geschlechterordnung und Karin Gludovatz macht sich Gedanken über eine 1997 im Kunsthistorischen Museum Wien gezeigte Ausstellung über die italienische Lyrikerin Vittoria Colonna. Zahlreiche Buchbesprechungen geben wertvolle Hinweise auf Neuerscheinungen und machen Lust aufs Weiterlesen.

Bereits dieser knappe Überblick über die Inhalte der beiden Hefte des 8. Jahrganges von L’Homme macht deutlich, daß dieses Zeitschriftenprojekt einem recht umfassenden Anspruch verpflichtet ist und keineswegs eindimensional an die Erforschung der Frauen- und Geschlechtergeschichte herangeht. Vielfältig sind die Anregungen, die jede einzelne Nummer bietet, die Beiträge durchwegs auf hohem Niveau und der Horizont bleibt stets erfreulich offen. Kurzum: L’Homme ist aus der gegenwärtigen Frauen- und Geschlechterforschung sowie aus der kulturwissenschaftlichen Forschung nicht mehr wegzudenken.

Susanne Breuss