| Ethnologia Europaea. Journal of European Ethnology, 25. Jg., 1995 1965 wurde die Ethnologia Europaea (EE) vom schwedischen Volkskundler Sigurd Erixon gemeinsam mit Kollegen aus Jugoslawien, Portugal und Frankreich gegründet. Sie sollte der Isolierung einzelner Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen beziehungsweise einzelner „nationaler Schulen“ entgegenwirken, die häufig einer Verbreitung wissenschaftlicher Ergebnisse hinderlich ist. Die jeweils unter einem anderen Themenschwerpunkt gestalteten, zweimal jährlich erscheinenden Hefte ermöglichen durch die internationale Ausrichtung einen Überblick über die volkskundlichen Forschungen in den meisten Ländern Europas, teilweise auch darüber hinaus. Die Ethnologia Europaea war anfänglich vor allem einzelnen Bereichen des traditionellen volkskundlichen Kanons gewidmet. Ab den 1980er Jahren kam es zu einer Öffnung der theoretischen und methodologischen Diskussion durch Einbeziehung der Nachbardisziplinen. Im folgenden soll nun der 25. Jahrgang (1995) genauer besprochen werden. Heft I legt den Schwerpunkt auf nationale und ethnische Identitäten - kein neues Thema im Fach, in Hinblick auf den Titel der Zeitschrift jedenfalls gerechtfertigt. Ein Teil der Aufsätze ist als schriftliche Fassung von Vorträgen, die auf dem 5. Internationalen Kongreß der Societé Internationale d’Ethnologie et de Folklore (SIEF) 1994 in Wien gehalten worden sind, erkennbar. Diese Beiträge sind sehr unterschiedlich ausgerichtet. Neben modern-postmodernen Überlegungen zu multikulturellen Konzepten (z.B. Bernhard Tschofen: „Verfremdungen“, 25-32), werden auch konkretere Forschungsergebnisse gestellt: So sind beispielsweise die Beobachtungen von Dunja Rihtmann-Augustin zur Heroisierung der Landsleute in Kroatien während des Jugoslawienkonfliktes (Victims and Heroes, 61-68), sowie ein weiterer kroatischer Beitrag zur aktuellen politschen Inbeschlagnahme bestimmter Symbole im Dienste nationalistischer Politik (Reana Senjkovic: The Use, Interpretation and Symbolization of the „National“, 69-80) sehr lesenswert. Beide Autorinnen sind mit Bedacht auf die teilweise dieser Politik willfährig gegenüberstehenden Kolleginnen und Kollegen besonders hervorzuheben. Das überwiegend positive Bild der Zeitschrift ändert sich leider, wenn darauf ein schon auf erwähnter Tagung mit Befremden weiter Teile des Publikums zur Kenntnis genommener Beitrag einer lettischen Verfechterin nationaler Symbole des Landes folgt. Der Zusammenbruch lettischen Nationalgefühls steht offenbar für die Autorin kurz bevor, da eine Verwendung nationaler Symbole im Dienste des Konsumismus (Stichwort: Zuckerlpapier in Nationalfarben) die Wirkungskraft derselben zunichte mache (Janelsina Aija Priedite: Die Abwertung der nationalen Symbolik am Beispiel Lettlands 1987-1994, 81-86). Da überzeugt dann auch das im Heft kurz vorgestellte Projekt eines slawischen Ethnologischen Atlanten nicht mehr, der aus heutiger Perspektive sowieso kein unproblematisches Unterfangen wäre. Wer im zweiten Heft des Jahrganges unter dem Titel „Female worlds“ eine Sammlung internationaler feministischer Forschungsergebnisse von Volkskundlerinnen und Volkskundlern vermutet, geht fehl. Ulrike Krasberg unterstellt denn auch am Beginn ihres Artikels (Die Mitgift und die Stellung der Frau auf der Insel Lesbos, 131-140) feministischen Forscherinnen ideologische Verirrungen und pauschale Fehlannahmen. Die Autorin möchte die Ergebnisse einer vermeintlich soliden, traditionell volkskundlichen Forschung dagegen stellen. Warum die geübte Polemik und argumentierenden Verkürzungen nötig sind, ist nicht einsichtig. Die besprochenen Ergebnisse sind immerhin interessant und haben eine solche Abwertung nicht verdient: Am Beispiel der griechischen Insel Lesbos kann recht schlüssig aufgezeigt werden, daß der Brauch, einer Tochter zur Heirat ein Haus oder eine Wohnung mit in die Ehe zu geben, einer Stärkung der Frauen und ihrer Stellung in der Familie und Gesellschaft bewirkt und die Töchter nicht unbedingt als Opfer von Mitgiftjägern zurückläßt. Die weiters im Heft zu findende Gegenüberstellung zweier Frauenleben aus Portugal zeigt den Einfluß sozialer Ungleichstellung auf das Heiratsverhalten. Dabei wird ein nur selten anzutreffendes Phänomen aufgezeigt: das natolokale Wohnen beider Ehepartner, häufig noch Jahre nach der Heirat (jeder Teil bleibt während des Tages im elterlichen Haushalt, Kinder werden von den Großeltern mütterlicherseits aufgezogen, der Mann kommt in der Nacht zum Schlafen - Brian Juan O’Neill: Divorging Biographies: Two Portuguese Peasant Women, 97-118). Die Gründe für ein solches Verhalten konnten aber nur teiiweise geklärt werden. Bei einem Aufsatz über Gemeinschaften verheirateter Frauen (Brit Berggreen: Societies of Married Women, 119-130) oder auch über ein Pariser Frauenfest (Anne Monjaret: La fete de la Sainte-Catherine a Paris dans les Annees folles vue a travers la presse, 141-156) ist der Zusammenhang zum Thema des Heftes durchaus einsichtig; was allerdings die minutiöse Darstellung eines historischen Wandels in den Bewegungsmustern militärischer Ausbildung und des Tanzes zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert hier sucht (Harald Kleinschmid: The Military and Dancing, 157-176), ist nicht ganz klar, auch wenn einer verstärkten Hinwendung zu historisch-volkskundlicher Forschung an dieser Stelle in keiner Weise eine Absage erteilt werden soll. Die Verwirklichungen russisch/sowjetischer Anthropologinnen und Anthropologen mit vorgeschriebener Ideologie von zwangsläufigem Matriarchat primitiver Gesellschaften werden dann von einem „Insider“ einer nun leichter möglichen Kritik unterzogen. Die Thesen der Idee vom Matriarchat werden von manchen Forscherinnen und Forschern offenbar noch immer gerne diskutiert (Andrej A. Znamenski: „A Houshold God in a Socialist World“, 177-188). Abschließend sei noch auf die Gestaltung der Hefte eingegangen: Die Möglichkeit, sich mit einem kleinen Ausschnitt des internationalen Forschungsgeschehens der Europäischen Ethnologie vertraut zu machen, wird erleichtert, indem jedem Artikel eine wirklich knapp gehaltene, nichtsdestotrotz verständliche Kurzfassung vorangestellt ist. Auch zahlreiche Abbildungen vermitteln einen besseren Zugang zu den vorgestellten Arbeiten. Die Verwendung von Abbildungen ist eine willkommene Ergänzung zum Text. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die noch weniger bekannt sind, beziehungsweise aus Ländern stammen, die nicht gerade im Zentrum des mitteleuropäischen Wissenschaftsdiskurses stehen, ein Forum zu bieten, ist in einigen Fällen jedenfalls ein lohnenswertes Unterfangen. Die Sprachen, in denen hier veröffentlicht wird, sind Französisch, Englisch und Deutsch. Das ist einer internationalen Zeitschrift durchaus angemessen, manchmal aber hemmt es leider den Zugang zur Ethnologia Europaea. Das wiederum beweist nur allzu deutlich die Notwendigkeit der anfangs erwähnten Gründungsidee der Zeitschrift: der internationalen Isolierung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entgegenzuwirken. Daniela Wiedl
Ethnologia Europaea. Journal of European Ethnology, Volume 27, 1997, H. 1-2, 177 Seiten Die Ethnologia Europaea kann auch im Jahrgang 1997 wieder mit einer hausbackenen Mischung moderner Forschungsfelder und Aufsätzen mit Altbewährtem von Altbewährten aufwarten. Leider wurde vom Konzept der Themenhefte abgegangen, die 13 bunt durcheinander gewürfelten Beiträge sind so ein Fundus für Zufallstreffer. Die Diversität der europäischen Wissenschaftstraditionen des Faches spiegelt sich nur bedingt (und vor allem an den Bezeichnungen der Institute) wider. Die österreichischen, schweizerischen und deutschen Kolleginnen und Kollegen glänzen nicht nur diesmal durch Abwesenheit im Diskurs, dafür bleibt die Arena frei für die in der Ethnologia Europaea traditionell stark vertretenen Länder des ehemaligen Ostblocks beziehungsweise für den Norden Europas, wo die Zeitschrift schließlich herkommt. Alle Beiträge sind diesmal auf Englisch geschrieben, was einen breiteren Zugang zu den Forschungsarbeiten schafft. Praktisch für die Erleichterung des gewünschten internationalen Austausches ist die Angabe der Adresse (meist mit e-mail); die kurzen Abstracts zur jeweiligen Arbeit ermöglichen einen raschen Überblick. Vergeblich sucht man ein Editorial der Herausgeberinnen und Herausgeber. Eine solche Orientierungshilfe mit Gedanken zur Richtung der Zeitschrift wäre wünschenswert. Was wird auf den insgesamt 163 Textseiten des Jahres 1997 nun wirklich geboten? Vom ersten Artikel des ersten Heftes (Albert Baiburin: The Functions of Thing, 3-14) bleibt eher ein trockener Nachgeschmack. Mit philosophischen Überlegungen zur Semiotik der Dinge im Alltag archaischer Gesellschaften, von denen weder Zeit noch Raum präzisiert wird (im Abstract wird wenigstens ein Hinweis auf Slaven gegeben, wer auch immer die sein mögen), kann die Rezensentin nicht recht viel anfangen. Ohne Quellenangabe eine mythische Welt zu rekonstruieren, wirkt nicht recht schlüssig, auch wenn nicht angenommen wird, daß sich die russische Ethnologie als solche ausschließlich damit beschäftigt. Besser kommt da schon der frische Artikel der zwei Doktorandinnen aus Göteborg an (Helene Brembeck und Barbro Johansson: The Commercialization of Childhood, 15-28). Sie können überzeugend den Wandel der Erlebniswelten von Kindern und die Macht der Medien (besonders über Werbedarstellungen) in der Beeinflussung der Wahrnehmung dessen, wie Kinder gesehen werden, aufzeigen. Die Mythologisierung der Kindheit auf Windelpackungen steht in Gegensatz zur zunehmenden Rollenumverteilung in der privaten aber auch öffentlichen Sphäre. Die Umkehrung der Kompetenzen (Kinder haben keine Angst vor Computern, sind Spezialisten, Eltern fühlen sich unsicher, hilflos vor den neuen Medien) wird vor dem Hintergrund einer zunehmenden Kommerzialisierung des Alltags von Kindern besprochen. Angenehm ist das Fehlen kulturpessimistischer Annahmen in diesem Zusammenhang, was vielleicht bereits mit der Generationszugehörigkeit der beiden Wissenschaftlerinnen zu tun hat. Auch das zweite Heft bietet einen Beitrag, der auf der Auswertung moderner Medien basiert (Fredrik Schoug: Transformations of Heroism, 105-118). Die zunehmende öffentliche Zurschaustellung von intimen Details prominenter Persönlichkeiten, die damit wieder dem „normalen“ Menschen näher kommen, bietet Möglichkeiten zur Identifizierung. Die Neugier und die Enthüllung von Geheimnissen wird vom Autor als Notwendigkeit der Identitätsbildung in der modernen (postmodernen?) Gesellschaft gesehen. Wenn schon nicht Themenheft, so gibt es doch einen Schwerpunkt im Jahrgang, der mehrere Arbeiten zum Thema Gewalt versammelt: Heft 1 schockiert fürs erste mit einer minutiösen Abhandlung zur grauenvollen Realität von sogenannten Reli-Morden (auf Basis religiöser Überzeugungen), die in den letzten zwei Jahrhunderten an Beispielen aus Europa und den USA in Typen eingeteilt werden. Das Christentums scheint Menschen dazu provozieren zu können, Morde zu verüben - dieses Faktum wird hier nach- und eindrücklich beleuchtet (Jojada Verrips: Killing in the Name of the Lord, 29-46). In die Abgründe, die unter der Oberfläche unserer scheinbar so zivilisierten europäischen Welt lauern, führt auch ein Artikel über die Spirale hausgemachter Gewalt während des Bosnienkrieges der 1990er Jahre im international bekannten Marienwallfahrtsort Medjugorje, wo sich die Dorfbewohnerinnen und -bewohner immer tiefer in einen eigenen „kleinen Krieg“ verwickelten (Mart Bax: Civilization and Decivilization in Bosnia, 163-176). Aus Kroatien, das seit der Gründung der Zeitschrift immer wieder durch Autorinnen und Autoren gut vertreten ist, kommt ein interessanter Beitrag über die Verarbeitung von symbolischer Raumerfahrung durch Menschen in belagerten und bombardierten Orten wie Dubrovnik (Maja Povrzanovic: Identities in War, 153-162). Auf der Basis von Interviews wird gezeigt, daß die gewaltsamen Erfahrungen zu einer starken symbolischen Aufladung der Orte führen, an denen diese Erlebnisse durchgemacht wurden. Diese Tatsache kann zwar leicht von nationalistischer Propaganda mißbraucht werden, hat für die Betroffenen aber nicht diese Bedeutung. Vielmehr wird deutlich, daß der Krieg eigene Formen von Identität hervorbringt, an die Überlebensstrategien gebunden sind. Dem historischen Erinnern und seinen Formen wird in mehreren
Aufsätzen nachgegangen. An der Analyse nationaler Gedächtnisfeiern
(Anne Eriksen: Memory, History and National Identity,
129-138) wird der Zusammenhang zwischen Memorie und Historie nicht zum
ersten Mal in den letzten Jahrzehnten im Fach abgehandelt, ohne wirklich
Neues zu bringen. Da las sich Utz Jeggle allemal spannender und vor
allem fehlte dort ein Schuß kritischen Bewußtseins nicht1 . Ähnlich
enttäuschend ist der Beitrag über die Sorben in Deutschland (Elka Tschernokoshewa:
Blending Worlds, 139-152). Der bemühte Versuch, ein bißchen
Pepp in die abgestandene Diskussion um die Identität nationaler
Minderheiten zu bringen, bleibt doch in den altbewährten Bahnen und
vermittelt eher den Eindruck, daß die Europäische Ethnologie
internationalen Theoriediskussionen manchmal etwas hinterherhinkt und
sich in manchen Dingen kaum vom Fleck bewegt. Unterhaltsam liest sich
hingegen die Untersuchung zu stark rezipierten Gesundheitsinformationen,
die, in historischer Perspektive betrachtet, weit mehr Funktionen
aufweisen, als eine Verhaltensänderung in der Bevölkerung bewirken zu
wollen. Sie geben Aufschluß über Lebensinterpretationen der jeweiligen
Zeit und verweisen auf Vorstellungen über die Welt als Ganzes (Signe Mellemgaard:
Health Information as Cosmology, 119-128). Interessant ist auch
die gut recherchierte Darstellung zu den Strategien, mit denen moderne
Winzerinnen und Winzer in einer mit Tradition aufgeladenen
französischen Weinregion durch die Erfindung neuer Bräuche sozialen
Wandel unter den Bedingungen großer Konkurrenz zu ihren Gunsten nutzen
können (Marion Demossier: Producing Tradition and Managing
Social Changes in the French Vineyards, 47-58). Zeitweise eher
ärgerlich macht der Versuch einer Kleidungsvolkskunde, den ein Krakauer
Professor für Ethnologie in einem Plauderton unternimmt und dabei die
Erinnerungen an die Moden seiner Studentenzeit In krassem Gegensatz zum zuletzt besprochenen Beitrag steht die stringente historische Abhandlung zur Entwicklung des Denkens als soziale Aktivität, die jeweils vom kulturellen Rahmen geprägt wird. Von der Tendenz einer ganzheitlichen Sicht auf die Dinge zur Etablierung von Ordnungsstrukturen durch den Menschen und weiter zu einer Historisierung des Denkens führt die Entwicklung vom 11. bis zum 16. Jahrhundert (Harald Kleinschmidt: Thinking as Action, 83-104). Der Aufsatz macht neugierig auf vergleichbare Arbeiten zu nachfolgenden Epochen. Der letzte Beitrag behandelt das jüdische Seder, ein rituelles Mahl, dessen große Bedeutung als Symbol für Befreiung in Zusammenhang mit der politischen Entwicklung im mittleren Osten gezeigt wird (Daniel Meijers: Next Year in Jerusalem, 59-66). Allerdings wird von einer einheitlichen Wahrnehmung und Observanz aller Juden weltweit ausgegangen, die so wohl nicht gegeben ist. Abschließend kann gesagt werden, daß sich ein Blick in die Ethnologia Europaea ob der Vielfalt der vorgestellten Themen und Ansätze lohnt. Von den auch vertretenen altmodischen Zugängen sollte sich niemand abschrecken lassen. Daniela Wiedl
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