| BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History. 8. Jg.
H. 1 und 2, 1994, 9. Jg. H. 1 1995
Die Zeitschrift BIOS wurde 1988 gegründet und erscheint zweimal jährlich im Umfang von ca. 160 Seiten. Als Herausgeber fungieren derzeit Charlotte Heinritz (Institut für Geschichte und Biographie der Fernuniversität Hagen), Albrecht Lehmann (Institut für Volkskunde der Universität Hamburg), Lutz Niethammer (Lehrgebiet Neuere Geschichte, Fernuniversität Hagen und Kulturwissenschaftliches Institut Essen) und Alexander von Plato (Institut für Geschichte und Biographie der Fernuniversität Hagen). Zum weiteren Mitarbeiterkreis zählen unter anderem der Zeithistoriker Gerhard Botz, die Ethnologin Maya Nadig, der Soziologe Martin Kohli und der Kulturwissenschafter Utz Jeggle. Wie schon aus der Zusammensetzung der Herausgeberschaft und der engeren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erkennbar, widmet man sich mit BIOS dem „disziplinübergreifenden Arbeitsbereich von Biographie- und Autobiographieforschung, Oral History und volkskundlicher Erzählforschung“. Diese Forschungsgebiete wurden Ende der 1960er Jahre in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen aufgegriffen und erweitert. Sie führten zu Diskussionen über den erfahrungswissenschaftlichen Ansatz in der Geschichte, zur Relativierung der Herrschaftsgeschichte und zum Versuch, die Geschichtsschreibung unter Einbeziehung der Erfahrungen „des kleinen Mannes/der kleinen Frau“ zu demokratisieren. In der Volkskunde wurde die Erzählforschung erweitert, indem sich das Fach von den Objekten ab- und deren Produzenten und ihren Lebenszusammenhängen zuwandte, die „Gewährspersonen“ blieben als Informanten nicht im Hintergrund sondern rückten mit ihrer jeweiligen Lebensgeschichte in das Blickfeld der Forschung. Zwar resultierte aus dieser regen Forschungstätigkeit in Deutschland die Gründung von einigen Arbeitsgruppen zur Oral History und Biographieforschung und natürlich entstand eine Reihe von Publikationen aber es fehlte an einer eigenen Zeitschrift, die sich ganz den Themen der Oral History, der Biographie- und Autobiographieforschung widmete und so einen Überblick über den Stand der einschlägigen Forschung in den unterschiedlichsten Disziplinen bieten konnte. Die Gründung der Zeitschrift BIOS sollte helfen, diese Lücke zu schließen. Im Editorial der ersten Ausgabe der Zeitschrift hieß es also:
Daraus ergab sich bis jetzt die Setzung folgender Schwerpunkte: In BIOS erscheinen Aufsätze, die Probleme der Methoden der Biographieforschung und Oral History diskutieren, Aufsätze, die neue Forschungsergebnisse vorstellen, wobei aber die Forschungsschritte nachvollziehbar dargestellt werden sollten, und Aufsätze, die theoretische Fragen behandeln. BIOS publiziert neben Originalbeiträgen auch deutsche Erstveröffentlichungen von Übersetzungen wichtiger fremdsprachiger Aufsätze. Außerdem sind „Länderberichte“ vorgesehen, die einen Einblick in die Biographieforschung und Oral History in europäischen und außereuropäischen Ländern ermöglichen sollen. Sammlungsberichte stellen Bestände biographischer Materialien und Quellen vor, Projektmitteilungen informieren über geplante und laufende Projekte. BIOS verfügt auch über einen Rezensionsteil. Neben Wissenschaftern und Wissenschafterinnen aus den einschlägigen Disziplinen richtet sich BIOS auch an „interessierte Laien“ wie Lehrpersonal, in der Erwachsenenbildung Tätige und an Kreise aus der politischen Bildung. Im 7. Jahrgang und im ersten Heft des Jahres 1995 der Zeitschrift BIOS kommen vor allem Vertreter und Vertreterinnen der Disziplinen Geschichte und Soziologie zu Wort, solche der Volkskunde, Literaturwissenschaft und Erwachsenenbildung sind mit jeweils einem Aufsatz bzw. Projektberichten vertreten. Die Aufsätze der besprochenen Hefte behandeln hauptsächlich Forschungsergebnisse, die auf der Auswertung von (Oral History-)Interviews beruhen, und beschränken sich (naturgemäß) fast ausschließlich auf das 20. Jahrhundert, wobei ein Schwerpunkt bei den Forschungen zu den beiden Weltkriegen zu erkennen ist. Literarische Biographien, Autobiographien, Archivalien und Fotos bilden weitere Quellen. Aufsätze, die Theorien und Methoden der Biographieforschurg behandeln, setzen ebenfalls einen Schwerpunkt der besprochenen Hefte. Die Projektberichte beschränken sich auf Forschungen in Deutschland, Länderberichte sind in diesen Heften ebensowenig veröffentlicht wie Sammlungsberichte. Lutz Niethammer publiziert in seinem Aufsatz „In Angelegenheit des Genossen Ernst Busse“ Dokumente aus einer SED-Untersuchung von 1946, die sich mit kommunistischen Kapos im KZ-Buchenwald beschäftigen, und zeigt, wie mit dem „Antifaschismus-Mythos als Staatsideologie der DDR“ umgegangen wurde. Hans Joachim Schröder behandelt in seinem Artikel über Erika von Hornstein, der „Pionierin des Tonbandinterviews“ ebenfalls ein zeitgeschichtliches Thema, das sich mit DDR-Flüchtlingen auseinandersetzt. Für ihr Buch „Die deutsche Not“ interviewte Erika von Hornstein 1959/60 etwa hundertfünfzig Gewährspersonen. Einem weiteren zeitgeschichtlichen Thema widmet sich Reinhold Vetter: „Wie ein Volk mit der Lüge lebte. Katyn und die Polen“. Er zeigt in lebensgeschichtlichen Interviews wie die polnische Bevölkerung, die katholische Kirche und das Militär mit dem Massenmord an polnischen Gefangenen, der auf Befehl des Politbüros der KPdSU im Zweiten Weltkrieg ausgeführt wurde, aber den Nationalsozialisten unterstellt wurde, umgehen konnte. In ihrem Projektbericht „lnterviews mit ehemaligen russischen Frontkämpferinnen“ schildert Rosemarie Papadopoulos-Kilius ihre Eindrücke von Interviews mit ehemaligen russischen Frontkämpferinnen im Zweiten Weltkrieg, mit denen sie vor allem die widersprüchlichen Gefühle dieser Frauen herausarbeiten konnte. Mit Frauen und Krieg beschäftigt sich auch Regina Schulte in ihrem Aufsatz über „Krankenpflege im Ersten Weltkrieg als Forschungsproblem“. Sie ergänzt damit Forschungen, die bisher nur die Männer an der Front und Frauen an der „Heimatfront“ gezeigt haben, indem sie die Erfahrungen von Frauen, die direkt am Leben der Soldaten Anteil hatten, in den Mittelpunkt ihres Interesses stellt. In „Der Kodak und der Stellungskrieg“ verwendet Barbara Duden Fotos zur Analyse persönlicher Erinnerungsbilder von Soldaten im Ersten Weltkrieg. Günter Burkart stützt sich bei seiner Untersuchung „Biographische Übergänge und rationale Entscheidungen“ wie viele Beiträge der besprochenen Hefte auf lebensgeschichtliche Interviews und zeigt, wie die gar nicht so rationale „Entscheidung“ zur Elternschaft heute bei Paaren abläuft. Michael Corsten stellt in seinem Beitrag zur Theorie der Biographieforschung „Beschriebenes und wirkliches Leben“ die Unterscheidung von sozialer Realität in und von Biographien zur Diskussion. Armin Nassehi leistet mit „Die Form der Biographie“ ebenfalls einen Beitrag zur Theorie und Methodendiskussion in der Biographieforschung, indem er Fragen der biographischen Kommunikation untersucht. Charlotte Heinritz geht in dem Aufsatz „Das Kind in der autobiographischen Kindheitserinnerung“ weniger der Frage nach, wieweit Kindheitserinnerungen authentisch sind, sondern vielmehr, wieso oftmals die Kindheit als eine Art „Selbstschöpfung“ dargestellt wird. In ihrem literaturwissenschaftlichen Artikel „Das Leben als literarisches Projekt“ stellt Monika Schmitz-Emans die Parallelen von Historiographie und Dichtung zur Diskussion. Susanne Böck
|